Tilos  Hafen Livadia  September 2005
Mittwoch, 31. August
Es ist heiß, die Luft im Hafen steht förmlich. Häuser und Betonpier strahlen die Hitze rücksichtslos ab. So beschließen wir, für einen Tag in der Bucht zu ankern, dort weht immer ein angenehmer Wind. Allerdings gibt es keine "Hauptwindrichtung". Mal bläst es von West, dann von Ost, die Böen kommen von überall her. So stecken wir sicherheitshalber ca. 60 Meter Kette und Thomas taucht nochmals, um den Anker zu prüfen. Trotzdem triften wir am nächsten Morgen einige Bootslängen ab und legen deshalb gegen Mittag wieder im sicheren Hafen an.

Samstag, 5. September
Es bläst mit 7 - 8 Bft, die Fallböen legen sogar im Hafen unser Schiff leicht auf die Seite. Auch die anderen Yachten, die in der Bucht ankerten, verlegten sich inzwischen in den Hafen. Alles, was wegfliegen könnte, ist sturmsicher an Deck festgezurrt, von Bug zu Bug sind Leinen gespannt bis zum Land, damit der Seitenwind die Anker nicht ausreißt. So liegen wir ziemlich beruhigt. 
Sonntag, 4. September
Im Ort herrscht fast unheimliche Stille. Livadia trauert. Heute morgen gegen 4 Uhr ist der junge Bäckermeister auf der Rückfahrt von seinem Besuch im Music-Night-Club in Mikro Chorio tödlich verunglückt. Seine Schwester hat den Sturz des Autos den Hang hinunter ohne größere Verletzungen überlebt, steht jedoch unter Schock. Beim Morgenspaziergang kam ich an die Unfallstelle, noch ohne zu wissen, was überhaupt passiert war. 

            

Für einen so kleinen Ort wie Livadia, wo jeder jeden kennt und um einige Ecken herum viele miteinander verwandt oder verschwägert sind bedeutet das eine Familientragödie. Der halbe Ort sitzt betroffen vor der Krankenstation neben der Kirche.
Montag, 5. September
Der Starkwind hat nachgelassen, die ersten Segler laufen aus. Wir wollen noch einen Tag warten, denn zurück nach Kos haben wir Wind und Welle gegen uns - und je weniger das ist, desto besser. 
Am Abendspaziergang stolpern wir auf dem Rückweg fast über einen jungen Finken, der starr vor Schock mitten auf dem Gehweg sitzt. Was soll man mit dem kleinen Kerlchen anfangen? Lassen wir ihn sitzen, wird er zertreten, setzen wir ihn auf eine Mauer, so freuen sich die Katzen. Also setze ich ihn in meine Hand und wir laufen zurück zum Hafen. Dort treffen wir die "Wasserfrau" und ich zeige ihr das Vögelchen, in das inzwischen schon wieder etwas Leben gekommen ist, das aber doch ganz brav in der Hand sitzen bleibt. Sie weiß sofort: "Es gibt in einem Nachbarort eine Vogelauffangstation - ich bringe ihn dorthin" - sprichts, holt einen Schuhkarton, der Winzling wird hineingesetzt und an dem Geräusch, das aus der Schachtel dringt, ist eindeutig zu erkennen, daß der Trancezustand schon wieder nachgelassen hat. Er wird diese Nacht in der Vogelauffang- station verbringen und am nächsten Tag nach einem Gesundheits-Check wahrscheinlich wieder weiterfliegen.
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